Ein „gewaltsamer“ Name für ein „violent topic“, so brachte sich Dr. Markus Hünemörder, Dozent und Spezialist für amerikanische Politik an der Universität München, mit seinem Vortragsthema in Verbindung. Pointenreich ging Hünemörders Präsentation zur Problematik der „Gun Control“ am 18.10.2018 vor der DGK-Oberstufe, vor der er schon zum 8. Mal referierte, auch weiter. Egal, wie gut die Schüler über das Thema schon Bescheid wussten, Hünemörder brachte neue Einsichten. Durch seine Art, Zusammenhänge zu erklären ohne zu belehren, durch eine einzigartige Verbindung von Identifikation mit und doch Distanz zu den USA schaffte er es auch dieses Mal wieder, Horizonte zu erweitern.
In 90 Minuten erhellte er, was für die Europäer ein Kuriosum bleibt: Persönliche Bewaffnung als Grundrecht. Amerika hat das Recht auf Selbstverteidigung mit Hilfe von Feuerwaffen in seiner Verfassung verankert. Weil aber die antiquierte sprachliche Formulierung aus dem Jahr 1791 unterschiedliche Interpretationen zulässt, machte der Oberste Gerichtshof im Jahr 2008 per Gerichtsbeschluss den Wortlaut erneut klar: der Staat darf das persönliche Recht, Waffen zu tragen, nicht einschränken.
Siedlungsgeschichte, Cowboy-Mythos, fehlende Polizeipräsenz in den kaum bevölkerten Weiten Amerikas – die USA haben vielseitige Motive, Waffen als Ausdruck von Nationalstolz zu sehen. Doch sie sind weit mehr. Sie sind der Ausdruck von Selbstbehauptung gegen den Staat.
Während in Deutschland der Staat das gesetzlich verankerte Gewaltmonopol hat, es ein Staatsmonopol auf Waffen gibt, um Bürger und Land vor Angriffen zu schützen, regelt das der Amerikaner in Eigenregie. In Zahlen: 120 Feuerwaffen pro 100 Zivilisten, d.h. 400 Millionen Feuerwaffen in den Händen von Privatleuten. Eine Statistik aus dem Jahr 2016 zeigt die Folgen auf: 23.000 Selbstmorde, 14.500 Tote durch Fremdeinwirkung und 500 Zufallsopfer durch Feuerwaffen auf. Insgesamt sinkt die Zahl an Toten durch Schusswaffengewalt, aber es steigt die Todesrate bei Amokläufen. Ein Polizist, der noch den Mut hat, in eine bewaffnete Auseinandersetzung einzugreifen, muss – so Hünemörder – viel Glück haben, den „good guy“ vom „bad guy“ zu unterscheiden und zu überleben.
Während andernorts nach Katastrophen ein Umdenken stattfand, z.B. in Australien nach einem Amoklauf binnen kürzester Zeit ein Schnellfeuerwaffenverbot durchgesetzt wurde, ist eine solche Art von Lösungen in Amerika nicht durchführbar. Alle Regulierungsversuche nach Anschlägen sind laut Hünemörder zum Scheitern verurteilt, weil der Senat Gesetzesvorschläge blockieren kann und die Waffenlobbyisten zu viel Einfluss auf die Regierung haben. Seit den 80er Jahren hat die Macht der NRA (National Rifle Association) so sehr zugenommen, dass die Politiker erpressbar geworden sind. Äußert sich ein Politiker zugunsten von mehr Waffenkontrollen, hätte er keine Chance, überhaupt gewählt zu werden. Im Gegenteil: Als nach einem Amoklauf in Parkland im vergangenen Februar, bei dem 17 Menschen starben, die Schüler der Marjory Stoneman Douglas High School Präsident Trump um schärfere Waffengesetze baten, reagierte Präsident Trump mit der Forderung, Lehrer zu bewaffnen.
„No sweeping change possible“ lautet Hünmörders ehrliches Fazit, ein Vortragsende, das die DGK-Schüler im Anschluss noch viele Fragen stellen ließ und für Anregung zu kursinternen Diskussionen sorgte. „Man muss Amerika kennen, die amerikanische Seele verstehen“, so Simon Lermer. Doch gibt es die? „Das Land ist zu gespalten, der Riss geht durch die ganze Gesellschaft“, dazu Lukas Müller. Die Rollenverteilung zwischen „good“ und „bad“ guy scheint eben nicht mehr so einfach wie in den Cowboy-Filmen.
Text: Sabine Schmöller
Foto: Inge Kronfeldner