Nur eine ruhige Frau ist eine gute Frau?

Werte und Normen als Leitlinien unserer Gesellschaft
Q11 Ethik mit Dr. Hammerl
Wer legt unsere Normen und Werte fest?

Am letzten Tag vor den Weihnachtsferien, den 21.12.2018 bekamen die Ethikschülerinnen und Ethikschüler der Q11 des Donau-Gymnasiums Kelheim wie auch in den letzten Jahren Besuch vom Leiter des Stadtmuseums Abensberg, Herrn Dr. Tobias Hammerl.

Der Kulturwissenschaftler hielt einen Workshop zum hochaktuellen und brisanten Thema „Werte und Normen als Leitlinien unserer Gesellschaft“. Organisiert hatten dieses Ereignis die Ethiklehrerinnen Michaela Mallmann und Sonja Steidl.

In persönlicher und nahezu privater Atmosphäre fand das Treffen an einem „runden Tisch“ statt, um den sich die Teilnehmer versammelt hatten. Dieser war mit unterschiedlichen Schmankerln aus aller Welt bestückt, die gemeinsam in der Pause verzehrt werden sollten. Der Kulturwissenschaftler wählte bewusst einen provokanten Einstieg und zog damit sogleich die Aufmerksamkeit aller auf sich. Er setzte sich zu den Schülerinnen und Schülern, legte die Beine auf den Tisch, direkt neben dem Essen. Dem noch nicht genug, rülpste er mehrmals. Tatsächlich wurde dieses Verhalten als enorm verstörend und irritierend empfunden.

Wann kann man Normen erkennen?

Schon war das Thema des Workshops quasi auf dem Tisch: Normen werden vor allem bei ihrer Übertretung sichtbar. Zudem offenbaren sie sich, wenn unterschiedliche Generationen aufeinandertreffen. So sind zerrissene Jeans unter Jugendlichen keiner Rede mehr wert, bei so manchen Erwachsenen bis heute aber verpönt. Normen werden auch sichtbar, wenn unterschiedliche Kulturen oder soziale Gruppen aufeinander treffen. Normen sind natürlich gerade für die junge Generation Mittel zum Zweck. Mit ihrer bewussten und kalkulierten Übertretung im Selbstfindungsprozess distanziert sich diese von Althergebrachtem und kündigt den Wandel an. So hätte die Generation der 68er einen Wandel eingeleitet.

Warum gibt es Normen?

Normen haben für die Gesellschaft unterschiedliche Funktionen. Sie ermöglichen den Mitgliedern einer Gemeinschaft ein geordnetes Zusammenleben, indem sie Verhalten steuern, regulieren und ordnen. Zudem bieten sie eine Projektionsfläche für unterschiedliche Anliegen. Gemeinsame Normen und ihre Einhaltung verdeutlichen die Zusammengehörigkeit unterschiedlicher Menschen zu einer Gruppe.

Wandeln sich Werte und Normen?

Eine Norm, das haben die Ethikschülerinnen und Ethikschüler bereits in dem Schuljahr gelernt, ist eine konkrete Handlungsanweisung. Die gesellschaftlichen Werte bilden die Grundlage für die Normen. Werte sind tief in den Menschen verankerte Vorstellungen darüber, was in einer Gemeinschaft als erstrebenswert und richtig gilt. Als allgemeine und kollektive Zielorientierungen befinden sie sich auf einer höheren Ebene als die Normen und greifen damit gleichzeitig tiefer.

Gemeinsam ging man der Frage nach, ob denn die Frauen gleichberechtigt sind und inwieweit die Emanzipation faktisch fortgeschritten ist. Schnell war man sich einig, dass sich die Gesellschaft derzeitig in einem Wandlungsprozess befindet. Von dem Begriff des Patriarchats wollten sich die Workshopteilnehmer in Bezug auf die jetzigen Verhältnisse nicht distanzieren, da in Politik und Wirtschaft bis heute die Männer das Geschehen dominieren. Doch sind derzeitig Veränderungen erkennbar. Die Rechte der Frauen seien zunehmend gesetzlich verankert und würden auch vermehrt in Anspruch genommen. Zudem habe sich das Bild der Frau in den letzten Jahren drastisch geändert: So ist z. B. eine ruhige Frau heute nicht mehr automatisch eine gute Frau.

Ausgehend von der Leitkulturdebatte wurde eruiert, was heute zu Deutschland gehört und was eben nicht. Der Schweinebraten am Sonntag als kulturelle Norm hat inzwischen in weiten Teilen der Bevölkerung ausgedient. Schnell wurde allen klar, dass die Frage, was denn „deutsch“ sei, nur für den Moment, für den Ist-Zustand beantwortet werden kann. Normen und Werte wandeln sich ständig. Die Frage muss also in der Gesellschaft fortlaufend gestellt, thematisiert und neu verhandelt werden.

Wie verändern sich Werte?

Nach der intellektuellen Anstrengung schlemmte man in der wohlverdienten Pause, um anschließend zum praktischen Teil der Veranstaltung überzugehen. In einem fiktiven Szenario wurde von Dr. Hammerl die Insel Albatros vorgestellt, auf der die Frauen herrschen und alle Männer ihnen untertan sind. Diese matriarchale Gesellschaft sei bisher glücklich und zufrieden. Gemeinsam stellten die Teilnehmer diese Situation in einem Rollenspiel nach, indem sie sich mit den Bewohnern von Albatros identifizierten. Ein Schüler forderte energisch die Gleichberechtigung der Männer, damit die Jahre der Unterdrückung endlich ein Ende haben. Eine Schülerin erwiderte ihm, dass bisher alles gut in dieser Gesellschaft funktioniert hätte und dass deshalb alles beim Alten bleiben solle. Die Frauen hätten in den letzten Jahren einige Erfolge vorzuweisen, die nur durch die bisherige Gesellschaftsform möglich gewesen seien. Eine weitere Schülerin forderte, dass, wenn die Männer schon gleiche Rechte haben wollen, sie bitteschön auch die gleichen Pflichten übernehmen sollten. Nicht alle Männer unterstützen die Forderung nach Gleichberechtigung: Ein weiterer gibt sich mit der derzeitigen Situation sehr zufrieden und stimmt der ersten Frau zu. Die Gleichberechtigung des Mannes sei nicht notwendig, da es allen gut gehe. Im gemeinsamen Rollenspiel kristallisierten sich die unterschiedlichen Gruppen heraus, die eine jede Debatte bestimmen: Während eine Gruppe den Wandel fordert, beharrt eine andere auf dem Alten. Auch in den Reihen der betroffenen „Profiteure“ befinden sich immer Gegner des Wandels. Ein letzter Teil ist bereit, auf die Forderungen einzugehen, erwartet aber auch Gegenleistungen. So waren die unterschiedlichen Gruppierungen, die in einer jeden Wertedebatte agieren, schnell und einprägsam deutlich geworden. Der „Aufstand“ des Mannes hatte also eine fundamentale Wertedebatte losgetreten. Die ursprünglichen Normen werden überdacht und der Wandel der darunter liegenden Werte thematisiert.

Wo findet der Wertewandel statt?

Nur im Diskurs werden gesellschaftliche Normen und Werte verhandelt. Dieser wird in unterschiedlichen Gruppen, durch Taten, in politischen Debatten und über Medien, auch über die sozialen, geführt. Diskursmächtig seien aber auch Objekte, so Dr. Hammerl. Ein Aspekt, der sowohl bei den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern als auch bei den Lehrkräften einen „Aha-Effekt“ auslöste. Die Architektur, die Gestaltung von Räumen und Parkplätzen ist diskursmächtig. Hierarchische Strukturen sind überall erkennbar. So seien beispielsweise an den Türen zum Lehrerzimmer am Donau-Gymnasium keine Türklinken angebracht, die jeder öffnen könne, sondern Türknöpfe. Niemanden fällt das auf und keiner hinterfragt dies, wobei hier doch offensichtlich die Lehrer-Schüler-Hierarchie sichtbar wird. Der Diskurs findet auf verschiedenen Ebenen statt. Er verhandelt unsere Wertigkeiten und Normen!

Welche Bedeutung kommt dem gesellschaftlichen Diskurs zu?

Die im Unterricht gewonnenen Erkenntnisse, so war man sich in der Feedbackrunde einig, haben durch die Konkretisierung im Workshop an Tiefenschärfe und Plastizität gewonnen. Gemeinsam hatte man am „runden Tisch“ erkannt, dass der gesellschaftliche Diskurs ein zentraler Bestandteil unserer freiheitlichen gesellschaftlichen Grundordnung ist. Damit ist er unerlässlich und darf folglich niemals unterbunden werden!

Der Kurs bedankt sich herzlich mit seiner Leiterin Michaela Mallmann bei Dr. Hammerl vom Stadtmuseum Abensberg, der sich die Zeit genommen hat, die Ethikschülerinnen und Ethikschüler mit seinem neuen Workshop zu bereichern, den er passgenau auf die Inhalte des Unterrichts zugeschnitten hatte!

Julie Endreß (Q11), Michaela Mallmann, Sonja Steidl