Granaten im Gemüsegarten: Eine Ausstellung, die erschüttert

Till Mayer mit Dr. Josef Schmid, Horst Hartmann, Martin Neumeyer, Michaela Mallmann, Dr. Gudrun Weida (Dolina Gesellschaft für Landeskunde e. V.), Veronika Leikauf (Stadtmuseum Abensberg) und dem Arbeitskreis Demokratie (Foto Schmailzl)

Der Fotojournalist Till Mayer spricht am Donau-Gymnasium zu seiner Ausstellung „erschüttert. Einschläge, die alles ändern“

Samstag, 23. November, 14 Uhr, Sonnenschein: Endlich war es so weit! Lange hatte sich der Arbeitskreis Demokratie mit seiner Lehrerin Michaela Mallmann und der den Wahlkurs unterstützenden Kunstlehrkraft Marion Fochler auf den Besuch des Journalisten und Fotografen Till Mayer vorbereitet und diesen mit Spannung erwartet. Seine Wanderausstellung „erschüttert. Einschläge, die alles ändern“ war von dem Krisenreporter gemeinsam mit der Hilfsorganisation Handicap International konzipiert und erstellt worden. Nach der Eröffnung im Deutschen Bundestag machte sie für knapp zwei Wochen Halt am Donau-Gymnasium Kelheim.

Till Mayer erklärt seine Fotografien (Foto Mallmann)

Interessierte Klassen hatten die Ausstellung schon vor Till Mayers Besuch gesehen. Entweder waren sie von Mitgliedern des Arbeitskreises Demokratie oder von ihren Lehrkräften geführt worden.  Den Schülern hatte die Ausstellung schon eitlen Sonnenschein vertrieben und den Alltag vieler Millionen Menschen in das von gravierenden Erschütterungen und Einschlägen verschonte Leben der jungen Gymnasiasten geholt. Jetzt sollten schließlich auch Eltern und Interessierte aus der Umgebung die Möglichkeit erhalten, einem Vortrag des Journalisten zu folgen und dann gemeinsam mit ihm die Ausstellung zu besuchen. Zu Beginn der Veranstaltung bedankte sich Herr OStD Dr. Josef Schmid bei den Mitveranstaltern, dem Stadtmuseum Abensberg und der DOLINA Gesellschaft für Landeskunde e. V. Landrat Martin Neumeyer betonte die Bedeutung des Gedankens der Inklusion, auf welchen er zum ersten Mal durch den Versehrtensport aufmerksam geworden war. Horst Hartmann, der Bürgermeister der Stadt Kelheim, hob in seinen Eröffnungsworten hervor, dass Demokratie und Freiheit lange nicht für alle Gesellschaften selbstverständlich sind und wir uns ihren Wert immer vergegenwärtigen müssen. Die Ausstellung mit ihren Portraits stand im Mittelpunkt des Vortrags von Till Mayer.

Die Ausstellung (Foto Schmailzl)

19 Roll-Ups zeigen Menschen, deren Leben durch den Einsatz von Explosivwaffen erschüttert wurde. Fernab der eigenen Lebenswirklichkeit erfuhren die Zuhörer durch die Ausstellung und den Vortrag eindrücklich, welche Folgen ein Krieg für das Leben der Menschen hat, der Menschen, die ihn überleben. Till Mayer berichtete aus 30 Krisen- und Kriegsländern und erläuterte am Samstag anhand ausgewählter Fotografien, wie verwundbar der Frieden und die Demokratie sind. Beide sind für viele Menschen in der Welt nicht selbstverständlich, wie die Besucher verstehen mussten.

Till Mayer beim Vortrag (Foto Schmailzl)

Für die Generation der jungen Menschen ist schwierig bis nahezu unmöglich zu erfahren, was Krieg persönlich und konkret bedeutet, da ihre Großeltern die Schrecken des Zweiten Weltkrieges nicht mehr erlebt haben. Deswegen hat sich der Fotograf auf den Weg gemacht, genau darüber junge Menschen zu informieren und sie wachzurütteln. „Wenn die Kameras der Kollegen aus den Krisen- und Kriegsgebieten abziehen, dann komm ich!“, sagt Till Mayer. Hinschauen, nicht wegschauen, ist unsere Pflicht. Der Reporter will zeigen, dass der Krieg nicht vorbei ist, wenn Friede geschlossen wurde. Menschen mit Behinderungen haben es in Krisengebieten besonders schwer, ein Leben in Würde zu führen. Viele seiner Portraitierten werden von Handicap International unterstützt, lange aber nicht genügend, weil die finanziellen Ressourcen fehlen.

Dabei ist uns der Krieg doch so nah, erleben die Zuhörer anhand der Bilder aus der Ukraine, wo 500 Kilometer lange Schützengräben im Osten des Landes die Zivilisten voneinander trennen und die Front nach Europa bringen. Seit 2007 berichtet Till Mayer aus dem vergessenen Krieg in Donbas, wo sein Großvater selbst im Zweiten Weltkrieg gekämpft hat und wo der Schrecken ungehindert wieder seinen Lauf nimmt. Offiziell heißt die Front „Kontaktlinie“. Ein Begriff, der Gutes suggeriert, aber in Wahrheit Grausames bedeutet. Alle überlebenden Kriegsteilnehmer sind verletzt, wenn nicht körperlich, dann seelisch. Nach dem Krieg ist nichts wie vorher. Die Menschen verarbeiten die Erlebnisse ein Leben lang (nicht) und viele bleiben für immer traumatisiert.

Das Bild eines ukrainischen Kämpfers zeigt Angst. Ein jeder Schuss bedeutet Angst, Angst, getroffen zu werden und gleichzeitig Angst, selbst zu töten. Dabei sind auch die Zivilisten die Leidtragenden.

Foto Soldat von Till Mayer

Valentina, eine 79-jährige Ukrainerin, lebt in dem kleinen Dorf Kamyanka, in dem nur noch alte Frauen sind.

Foto Valentina von Till Mayer

Alle jungen Menschen sind gegangen, haben die Orte des Schreckens der Front verlassen, um frei von Angst zu sein und arbeiten zu können. Valentina nutzt ihren Gemüsekeller als Behelfsbunker, wo sie immer wieder Nächte verbringt. Zurückgeblieben in den Dörfern und Städten sind die alten Damen: Viele von ihnen ob der Furcht vor den Granaten und der Einsamkeit schwer depressiv. Das Rote Kreuz unterstützt sie mit einem psychologischen Team an der Frontlinie. Bild für Bild reiht sich Schicksal für Schicksal zu einem Szenario des Grauens auf. Die zwölfjährige Shahed, die im Krieg nicht nur ihr Bein, sondern auch ihren Bruder und ihre Mutter verloren hat, aber davon nichts weiß, wird jetzt die Rolle der Mutter übernehmen und sich um ihre Geschwister kümmern: Ahad, acht, Raghad, sieben, und Raad, vier. Der Islamische Staat hat ihre Heimat Mossul mit Sprengsätzen verseucht. Er missbraucht die Zivilisten als menschliche Schutzschilde. Die selbstgebauten Bomben versteckt der IS z. B. in den von den Kindern zurückgelassenen Teddybären, damit diese bei ihrer Rückkehr explodieren. Shahed lebt mit ihrer Familie in dem Flüchtlingscamp Hasansham. Dort wird sie von Handicap International betreut und unterstützt. Mobile Rehabilitationsteams von Handicap International stehen in verschiedenen Krisengebieten den Menschen mit Behinderung zur Seite. Sie erhalten ihren Verletzungen entsprechend Mobilitätshilfen wie Krücken, Rollatoren, Rollstühle oder Prothesen.

Foto Shahed von Till Mayer

Der Journalist Till Mayer appelliert and die Schülerinnen und Schüler, den Klimawandel als große zukünftige Bedrohung zu erkennen. Jetzt sei die Zeit, zu handeln, wenn es nicht bald zu spät sein soll. Der Klimawandel wird die Flüchtlingskrise weiter verschlimmern. Um zu überleben, sich selbst und ihre Kinder zu ernähren, werden noch mehr Menschen ihre Heimat verlassen, in der Hoffnung, dass Europa sie retten wird. Der Blick auf die weltweiten politischen Entwicklungen verheißt zudem nichts Gutes: „Früher war ich mir bei meinen Reisen sicher, die Welt wird besser werden. Heute fällt es mir schwerer, dies zu glauben!“, so Till Mayer. Die politische Lage ist gravierend instabil geworden. Eine mögliche Eskalation wird wahrscheinlicher. Dabei liegt es an uns, die Demokratie stark zu machen. Wir alle sind verantwortlich. Der Journalist fordert seine jungen Zuhörer auf, zu begreifen, dass es für sie ein großes Glück bedeutet, in Deutschland geboren zu sein. Dieses Glück dürfe auch genossen werden, er würde es auch tun. Man dürfe sich darüber freuen, solle aber nicht vergessen, dass viele Kinder auf der Welt keine Kindheit, kein Glück haben. Till Mayer verlangt von seinen Zuhörern Empathie und Verständnis für alle diejenigen, die zufällig nicht auf der Sonnenseite des Lebens in Wohlstand, Frieden und Demokratie geboren wurden, sondern in Krisengebieten leben müssen. Wir müssen verstehen, dass die Menschen ihre Länder verlassen, weil sie essen, sicher und frei leben wollen. Demokratie und Frieden sind ein kleiner Baum, den man hegen und pflegen muss, ständig.

Till Mayer mit Schülerinnen des Arbeitskreises (Foto Schmailzl)

Erschüttert, aber bestärkt in ihrem Anliegen, machen sich die Mitglieder des Wahlkurses daran, mithilfe der politischen Bildung unsere Demokratie stark zu machen!

Im Erich Weiss Verlag sind von Till Mayer jüngst die Fotobücher „Dunkle Reisen“ und „Donbas“ erschienen, die im Handel unter www.erich-weiss-verlag.de erhältlich sind. Informationen zur Ausstellung findet sich im Netz auf der Seite www.erschuettert.org.

Ein herzliches Dankeschön an Till Mayer, Handicap International und alle an dem Projekt beteiligten Partner, die es in Umsetzung und Finanzierung ermöglicht haben!

Information:
Finanziert wurde dieser Beitrag zur politischen Bildung durch die Auszeichnung des Planspiels zur Kommunalpolitik „Du entscheidest!“ beim Wettbewerb des Landesschülerrates „#mitsprechen – Du bist Demokratie!“ und durch die DOLINA Gesellschaft für Landeskunde e. V. Als Kooperationsprojekt zwischen Stadtmuseum Abensberg und dem Donau-Gymnasium wird das Planspiel momentan in der online-Version gemeinsam mit den Museumsleitern Veronika Leikauf (Stadtmuseum Abensberg) und Dr. Tobias Hammerl (Oberpfälzer Freilandmuseum in Neusath-Perschen) fertiggestellt.

Der Arbeitskreis Demokratie mit Till Mayer und den Ehrengästen (Foto Mallmann)

Michaela Mallmann für den Arbeitskreis Demokratie